Tanz ist so vielfältig wie wir Menschen vielfältig sind. Jeder Tanz hat seinen eigenen Charakter. Daher sollte es nicht die eine „Definition“ von Tanz geben. Wir sollten uns stattdessen fragen, was Tanz für uns persönlich bedeutet. Jede/r tanzt aus einem anderen Grund, aber selten ist uns das bewusst.
Anfang des 20. Jahrhunderts begannen unterschiedliche TanzpädagogInnen in mehreren Ländern genau darüber nachzudenken. Sie befreiten damit den Tanz von den damals herrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen und entwickelten eine neue, revolutionäre Sicht auf den Tanz.
Einer dieser TanzpädagogInnen war Rudolf von Laban. Der Ausdruckstanz nach Rudolf von Laban beschäftigt sich mit dem Tanz, der von Innen heraus entsteht, also vom individuellen Körper der Menschen ausgeht. Für Rudolf von Laban war das wichtigste Ziel im Tanz nicht die künstlerische Leistung, sondern vielmehr „eine körperliche Beziehung zum Dasein zu finden.“ (Laban 2001, 124). Er war der Meinung, dass der Tanz dazu dienen soll, unser Leben besser zu verstehen.
Beim Ausdruckstanz nach Rudolf von Laban geben uns TanzpädagogInnen bestimmte Aufgaben und Impulse. Wenn wir diesen folgen, lernen wir unseren Körper besser kennen und wagen uns an neue, vielfältigere Bewegungen heran – Bewegungen, die uns gut tun. Mit diesem vertieften Körperwissen verstehen wir auch Aspekte unseres Lebens besser. Oft bewegen und tanzen wir in automatisietten Bewegungen. Zu einer bestimmten Musik antwortet unser Körper immer mit ähnlichen Bewegungen. Unser Körper und seine Bewegungen sind von den Automatismen des Alltags geprägt. Wie reagieren wir, wenn wir im Unterricht dazu aufgefordert werden Stück für Stück unsere Art zu tanzen zu erweitern? Tanzt in einem anderen Tempo! Spürt im Tanzen die Auflagepunkte der Füße! Tanzt nur in Seitwärts-Bewegungen! Tanzt gegen den Rhythmus der Musik! Tanzt ohne Musik! … Mit diesen Übungen schickt uns der Tanzpädagoge/ die Tanzpädagogin auf eine Entdeckungsreise in unser eigenes Leben: In welcher Geschwindigkeit bewege ich mich am Liebsten? Wie verwende ich den Raum in dem ich tanze und wie ist es für mich wenn ich diesen Raum anders nütze? Was lösen diese Tanzaufgaben in mir aus? Was bedeuten diese für mein Leben? Wie kann ich Improvisation mehr in mein Leben integrieren?
Warum verwenden wir KindertanzpädagogInnen dieses Konzept gerne in unserer Arbeit? Kinder haben meist bis ins Vorschulalter keine sehr ausgeprägte und daher sehr freie Vorstellung von Tanz. Für sie hat Tanz ganz stark mit in Beziehung gehen zu tun. Sie tanzen mit anderen Menschen, aus inneren Impulsen heraus, nehmen die Musik und die MittänzerInnen meist als Inspiration. Hier können wir ansetzen, um ihren freien Blick auf den Tanz zu behalten. Ihnen zu zeigen, dass Bewegungen selbst erfinden oder entwickeln genauso ihren Wert und ihre Schönheit behält, wie Tanzbewegungen nach zu ahmen. Außerdem können sie lernen, dass auch ihre Bewegungen nachahmenswert sind. Kinder nach dem Vorschulalter und Jugendliche werden durch dieses System langsam an die Prinzipien des Audruckstanzes herangeführt und müssen lernen bestimmte Vorstellungen von Tanz langsam aufzugeben. Neben vielen anderen Aspekten, die hier den Rahmen sprengen würden, ist dieser Aspekt der Befreiung des Tanzes von unseren gesellschaftlichen Vorstellungen mit der gleichzeitigen analytischen Auseinandersetzung mit den Bewegungsmechanismen einer der wichtigsten Gründe weshalb ich persönlich das Konzept vom Ausdruckstanz nach Rudolf von Laban nicht nur für Erwachsene, sondern auch für die Arbeit von Kindern so schätze.
Was bedeutet Tanz für dich? Was für eine Art Tanz beschäftigt dich und warum? Wofür tanzt du?